Drei Gründe, warum du Odesa hassen wirst

Stadtschreiberin Ira Peter vor der Oper in Odessa

Perle am Schwarzen Meer, Paris des Ostens, Palmyra des Südens, Hauptstadt des Humors – bescheiden sind die Odesiten wirklich nicht. Vermutlich haben sie sich die schmückenden Namen sogar selbst gegeben. Für ihre prahlerische Art gibt es sogar einen Ausdruck „одесские понты“ (odesskie ponty). Er bezeichnet Menschen, die gern etwas mehr scheinen als sie sind. Aber das ist noch lange nicht alles, was du über Odesa erfahren solltest, um die Stadt im Süden der Ukraine aus tiefsten Herzen zu hassen.

Die Katzen in Odesa zählen zu den schönsten und korpulentesten der Welt, sage ich.

1. Katzenhauptstadt Europas

Du liebst Hunde, ihren süßen, treudoofen Blick und grenzenlosen Bewegungsdrang? Gegen Katzen bist du aber allergisch, nicht nur aus physischen Gründen? Dann werden Odesa und du nie matchen. Denn die Stadt ist voll von den knuffigen Wollbiestern. Sie sitzen auf Autos, auf Stühlen in Cafés, mitten vor dem Supermarkteingang und sie werden dir niemals Platz machen. Denn ihnen gehört die Stadt und das seit über 200 Jahren. Nämlich seit der Zeit, als die Stadtgründer sie einluden, um in den Getreidespeichern im Hafen den Mäusen etwas Respekt einzujagen. Weil sie ihren Job mehr als gründlich gemacht hatten, verehren sie die Odesiten bis heute wie „der Inder die heilige Kuh“, so ein Stadtführer.

Eine der vielen Miniaturkatzen in Erinnerung an große Katzenpersönlichkeiten der Stadt von der Bildhauerin Tatyana Shtykalo.

An jeder Ecke steht ein Katzenhotel mit Chillout-Area und vollem Futternapf. Man nennt sie hier „Kottages“, eine Wortmischung aus dem russischen „Kot“ für Kater und englischen Cottage für Landhaus. Vielerorts wie in der Fischhalle des berühmten Privozmarkts oder im Schewtschenko-Park erschreckt den Hundefan eine dicke Katze aus Bronze der Bildhauerin Tatyana Shtykalo. Jede ihrer Miniaturkatzenskulpturen erzählt die Biografie einer ganz besonderen Katze wie die von Ryschyk, dem Lieblingskater eines Büros in der Großen Arnautskastraße. Sie sind seit Jahren zu einem Highlight der Stadt geworden und vermehren sich ebenso wie die schnurrenden Vorbilder auf unkontrollierbare Weise.

Sie lauern an jeder Ecke, damit sich Hundefreunde nie in Sicherheit wähnen: Streetart-Katze in Odesa.

Und wenn du als Hundeliebhaber denkst: Mir doch egal, dann trete ich einer lästigen Katze auf den Schwanz, wenn sie mir nicht den Weg freigibt oder sogar gestreichelt werden möchte – daraus wird nichts. Denn ein Gesetz schützt seit 2017 die stolzen Stadttiger von Odesa vor grober Behandlung.

Der Feind jedes Fitnessfreaks: Feinstes Essen überall und zu jeder Uhrzeit.

2. Gourmetparadies der Ukraine

Du hast die schönen Bilder von Odesa auf meinem Blog gesehen und spielst mit dem Gedanken, dir einen billigen Direktflug aus Berlin hierher zu buchen? Tu es nicht, wenn du gerade auf Diät bist. Auch nicht, wenn du richtig feines Essen (sogar besser als bei Mama, sorry Mama), regionale Spitzenweine und Genuss im Allgemeinen ablehnst. Denn über Odesiten kann man sagen, was man will, aber gut essen und trinken – das können sie. Deshalb drängt sich in der Stadt ein hervorragendes Restaurant neben das nächste und du wirst in deiner Wohnung nie einen Kochlöffel anrühren, solange du hier lebst.

Hervorragende Weine aus Bessarabien, feinster Prosecco des Weingutes Shabo vor den Toren Odesas oder fancy Gin Tonic wie hier im Atelier Café – „heute verzichte ich mal“ kannst du dir in die Haare schmieren.

Auch nicht, weil die Küche in Odesa ein abwechslungsreicher Mix an Gourmetfreuden ist aus den vielen Kulturen, die hier seit Gründung der Stadt leben. Innerlich verhandelst du schon mit dir und nimmst dir vor, Restaurants und die hübschen, gemütlichen Cafés weiträumig zu umgehen? Dann wart erst mal ab, wenn du bei deinen neuen Freunden in Odesa nach Hause zum Essen eingeladen wirst. Deine Lieblingsjeans kannst du direkt auf Ebay zum Verkauf stellen. Und komm dann nicht mit „kann ich nur einen Salat und Wasser haben?“ – sie werden dich an deinen Stuhl fesseln und solange Wareniki, Borscht und Speck in dich reinstopfen, bis du endlich verstehst, dass Essen hier nicht Essen ist, sondern ein Beweis für Liebe.

Das war’s mit der Stille: Willkommen in Odesa, der Hauptstadt der Geschwätzigkeit.

3. Labertasche der Nation

Wie schön: Du kommst morgens in die Küche, niemand aus deiner Familie grüßt dich, niemand will von dir wissen, wie es dir geht oder was du heute vorhast – diese wunderbar unterkühlte deutsche Art erfüllt dich mit einer wohligen Wärme. Bist du so ein Kommunikationsverweigerer? Dann wird Odesa dein persönlicher Alptraum. Hier wollen nicht nur Freunde und Bekannte deine Meinung zu allem wissen, auch Wildfremde suchen das Gespräch mit dir – an Ampeln, Supermarktkassen, in der Toilette.

Bescheidenheit ist nicht so Odesas Ding: Man zeigt, was man hat, hier einer der zentralen Plätze der Stadt am Primorsky Boulevard.

Dem Odesiten ist es egal, wo er den nächsten Ahnungslosen mit seiner grenzenlosen Geschwätzigkeit überfällt, Hauptsache er kann sich endlich über das Wetter, die Staus im Zentrum oder nervigen Touristen auslassen. Du glaubst mir nicht? Spätestens wenn du im Taxi vom Flughafen Richtung Stadt sitzt, wirst du an meine Worte denken. Und glaub nicht, den Taxifahrer interessiert es, dass du kein Russisch oder Ukrainisch sprichst. Du wirst am Ende der Fahrt alles über ihn erfahren haben (er kann nämlich Google Translator und wird dich zwingen, ihn auch zu nutzen): in welchem Lokal ihm der Heringsalat am besten schmeckt (vermutlich gehört das Lokal seiner Schwester, dem Schwager oder einem Onkel), wie seine Katze heißt (seine Stimme wird ganz weich, wenn er von ihr spricht), und vor allem, warum er geschwätzige Menschen echt nicht mag.

Niemand, wirklich niemand braucht ein Meer mitten in der Stadt.

Dich überzeugen diese drei Gründe nicht? Ich kann dir unzählige weitere nennen: die unerträglich breiten Boulevards und mondänen Gebäude der Stadt, das viel zu üppige Kulturangebot oder dieses grauenhafte Meer hier – wirklich niemand möchte am Meer leben, all der Sand, die Seeluft und ständig dramatische Sonnenaufgänge – das strengt die Sinne einfach nur an. Vertrau mir, diese Stadt ist die absolute Hölle und sollte aus Google Maps ein für alle Mal gelöscht werden – damit ich sie ganz allein für mich haben kann.

Weitere Tipps zu Odesa oder der Ukraine? Schreibe mir eine Email an mail@stadtschreiberin-odessa.de

8 Gedanken zu „Drei Gründe, warum du Odesa hassen wirst“

  1. Sorry, Palmyra (also das echte) liegt aber südlich von Odessa. Würde vllt. „Palmyra des Nordens“ besser passen. Aber nein, das ja schon der „Titel“ Petersburgs? Egal, Odessa und Piter sind ein Paar – es passt halt auch besser im Zusammenhang mit O. von „südlich“ zu sprechen, oder? (Macht aber eben leider nur im russländischen Kontext Sinn.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

RSS
Folgen Sie dem Blog per E-Mail
Ira Peter auf Instagram