Am 22. Oktober 1941 sprengten sowjetische Partisanen in Odesa das Hauptquartier der rumänischen und deutschen Besatzer in die Luft. 67 Menschen starben, darunter 16 rumänische und vier deutsche Offiziere. Als Vergeltungsakt trieben die Okkupanten Jüdinnen und Juden in neun Munitionsbaracken am Rand der Stadt und steckten sie in Brand. Etwa 25.000 Menschen, zumeist jüdische Frauen, Kinder und alte Menschen, verbrannten bei lebendigem Leib. Wer zu fliehen versuchte, wurde erschossen oder in die Luft gesprengt. Warum dieses „Massaker von Odesa“, ebenso wie die meisten „Babyn Jars“ der Ukraine, bislang kaum bekannt ist und wie das Berliner Zentrum Liberale Moderne dieses Verbrechen sichtbar machen möchte – darüber sprach ich mit Marieluise Beck, Direktorin für Osteuropa des Zentrums der Liberalen Moderne.
Monat: Juni 2021
„Heimat hat nichts mit Nationalität zu tun“
„Ich wusste nicht, dass mein Vater Deutscher war“, sagt Elvira Plesskaja-Sebold, nachdem wir uns auf eine Bank neben der Odesaer Oper gesetzt haben. Sie packt eine Mappe aus vergilbtem Karton und mit abgegriffenen Ecken heraus. Das schwarzweiße Portrait eines jungen Mannes fällt uns entgegen. „Das ist er“, sagt sie. Erst als sie sich Ende der 1950er um einen Studienplatz an einer Hochschule in Moskau bewerben wollte, erfuhr sie von seiner Herkunft. „Dein Vater war Deutscher, du bekommst nur Schwierigkeiten“, warnte ihre Mutter sie. Nur wenige Deutsche durften nämlich in der Sowjetunion studieren und schon gar nicht in Moskau oder dem damaligen Leningrad. Studiert hat die schon damals zielstrebige Frau später trotzdem – nicht in Moskau zwar, aber in einer russischen Kleinstadt.