Im Gleichklang des Schweigens

Unterschiedliche Kulturen und Sprachen webten sich ein in die Geschichte der Ukraine – die einzelnen Fäden zu entwirren, hat sich Ira Peter als Stadtschreiberin in Odesa zur Aufgabe gemacht. Besonders das Erbe der Juden und Deutschen, das allgegenwärtig und doch oft verborgen diesem Land inne ist, berührt sie. Beide Gruppen prägten die Region über Jahrhunderte hinweg, beide erlitten während des Zweiten Weltkrieges und in der Sowjetzeit unfassbares Leid – in Bezug auf den Holocaust an Jüdinnen und Juden jegliche Vorstellungskraft sprengend.

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Die Stille bei Neu-Karlsruhe

Zehn Jahre ging ihr diese Geschichte nicht aus dem Kopf. Schließlich musste Katharina Martin-Virolainen das Erlebte von „Oma Julia“ in einem Buch festhalten. Die Geschichte, auf der ihr 2021 veröffentlichter Roman „Die Stille bei Neu-Landau“ basiert, beginnt in Neu-Karlsruhe, einer ehemaligen deutschen Kolonie nordöstlich von Odesa. Ich begleite die Autorin zu diesem Ort in der Ukraine. Dort sprechen wir über den Lebensweg der Menschen, für die Neu-Karlsruhe bis 1944 Heimat war, über unterschätzen Rechercheaufwand und notwendige Schreibpausen. Auch beschreibt die russlanddeutsche Autorin, wie es sich anfühlt, zum ersten Mal dort zu stehen, wo sie gedanklich zwei Jahre verbracht hatte. 

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Güldendorf will seinen Namen zurück

Google kennt „Güldendorf“ schon. Gibt man den Namen in der Suchmaschine ein, zeigt sie als ersten Treffer das Dorf Krasnosilka nördlich von Odesa an. Ein Teil der Menschen in Krasnosilka, wie Güldendorf seit 1945 offiziell heißt, möchte den einst von deutschen Kolonisten vergebenen Ortsnamen zurück. Warum und wie die Bürgermeisterin die angestrebte Volksabstimmung betrachtet, darüber sprach ich mit ihr und einer „Güldendorf“-Aktivistin.  

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Ein Dorf, das nicht mehr existieren soll

Wolhynchen, immer ging es um Wolhynchen. Stundenlang saßen sie in der Küche bei schwachem Licht zusammen und erzählten sich Geschichten aus ihrer Heimat Wolhynien im Westen der Ukraine. Vielleicht lieben wir Dinge und Menschen umso stärker, wenn sie uns mit Gewalt entrissen werden. Meine Großeltern haben ihr Wolhynchen jedenfalls bis zum letzten Atemzug verehrt wie eine Mutter. Zu ihr zurückkehren durften sie trotz aller Liebe nie, selbst dann nicht, als Stiefmutter Kasachstan sie hungern und frieren ließ. 85 Jahre nachdem meine Großeltern aus der Ukraine deportiert worden waren, will ich das Dorf sehen, das ihnen als Leinwand für ihre Sehnsucht diente. Auch wenn mein Vater sagt: „Es ist nichts mehr übrig von Towine.“

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Die unwahrscheinliche Heimkehr einer Schwarzmeerdeutschen

Menschen wie Elena Bieber trifft man heute nur selten in der Ukraine. Sie hat ihr Leben nämlich in genau dem Dorf verbracht, das ihre deutschen Vorfahren vor über 200 Jahren am Schwarzen Meer mitgegründet hatten. Vor 1954 aber riss der Zweite Weltkrieg Elena Bieber und ihre Familie aus der Südukraine bis nach Berlin und anschließend weit in den Osten der Sowjetunion. Oft trennten nur Millimeter sie von einer tödlichen Bombe, vor dem Verhungern oder Erfrieren. Ihre außergewöhnliche und gleichzeitig für Deutsche aus der Ukraine typische Lebensgeschichte erzählte sie mir in ihrem Haus in Neuburg, 30 Kilometer südlich von Odesa.  

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Bessarabien: Die verschwundenen Deutschen

„Eine Grundidee von Bessarabien vor rund 200 Jahren war, dass unterschiedliche Völker hierherkommen, ihr Wissen mitbringen, es teilen und sich gegenseitig wirtschaftlich und kulturell bereichern“, sagt Elena Menshykova. Wir stehen vor der Sonne geschützt unter einem der vielen Bäume auf dem Marktplatz von Tarutyne, 150 Kilometer südwestlich von Odesa, im Herzen Bessarbiens. An uns laufen lachende Menschen in bunten traditionellen Kostümen vorbei, der Geruch nach Gegrilltem schwebt in der Luft, Musik aus allen Richtungen lädt zum Tanzen ein. Wir befinden uns mitten auf dem „Bessarabskij Jarmarok“, einer Art Jahrmarkt der Kulturen und dem wichtigsten Fest des Jahres. Dort werde ich heute die „Grundidee“, von der Germanistin Elena Menshykova spricht, erleben.

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„Heimat hat nichts mit Nationalität zu tun“

„Ich wusste nicht, dass mein Vater Deutscher war“, sagt Elvira Plesskaja-Sebold, nachdem wir uns auf eine Bank neben der Odesaer Oper gesetzt haben. Sie packt eine Mappe aus vergilbtem Karton und mit abgegriffenen Ecken heraus. Das schwarzweiße Portrait eines jungen Mannes fällt uns entgegen. „Das ist er“, sagt sie. Erst als sie sich Ende der 1950er um einen Studienplatz an einer Hochschule in Moskau bewerben wollte, erfuhr sie von seiner Herkunft. „Dein Vater war Deutscher, du bekommst nur Schwierigkeiten“, warnte ihre Mutter sie. Nur wenige Deutsche durften nämlich in der Sowjetunion studieren und schon gar nicht in Moskau oder dem damaligen Leningrad. Studiert hat die schon damals zielstrebige Frau später trotzdem – nicht in Moskau zwar, aber in einer russischen Kleinstadt.

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