Der Vierundzwanzigste

„Es gab fünf, sechs Explosionen, in Odesa herrscht Panik, der Flughafen ist zu, an den Geschäften und Bankomaten haben sich lange Schlangen gebildet“, berichtet meine Freundin Karina in einer Sprachnachricht am Morgen des 24. Februars 2022. Ja, „berichtet“: Ich habe ihre Nachricht eben noch einmal angehört. Ihre Stimme klingt beherrscht, klar. Als würde sie über etwas sprechen, das sie im Fernsehen sieht und nicht etwas, das direkt vor ihrer Haustür passiert. Im Laufe der kommenden Wochen lerne ich jedoch die Varietät ihrer Stimme kennen: Mal wird sie brüchig, leise, dann wieder kraftvoll und etwas heller. Doch Karinas Worte schmecken immer gleich: nach Schmerz, nach Entsetzen und nie wieder nach der gewohnten, leicht salzigen Luft am Strand von Odesa. Wo unser Lachen im Sommer 2021 erklang und das Glück unerschöpflich schien.

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Holocaust-Überlebender in Odesa: „Gebt uns Eisen, wir geben unsere Leben!“

Warum der Holo­caust-Über­le­bende Roman Schwarz­man seit einem Monat nicht mehr in den Keller flüch­tet, wenn Flug­alarm über Odesa dröhnt und was ihm Kraft gibt, täglich ins Büro zu fahren, um von dort aus Ghetto- und KZ-Über­le­ben­den sowie Ange­hö­ri­gen der jüdi­schen Gemeinde von Odesa zu helfen – darüber sprach ich mit ihm Anfang Oktober 2022.

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„Unser kulturelles Erbe wird vernichtet“

Sie ist eine der warmherzigsten Personen, die ich in Odesa kennenlernen durfte. Und eine der engagiertesten: Elena Saidel. Eigentlich ist sie Lehrerin in Ovidiopol, einer kleinen Stadt westlich von Odesa. Ihr Leben gehört aber der ukrainischen Volkskunst: Seit Jahrzehnten sammelt sie Gemälde und traditionelle Handarbeiten und stellt diese aus. Das Gebäude, in dem sie bis vor kurzem noch Bastelkurse für Kinder gegeben hat, dient ihrer Stadt seit vier Wochen als Stützpunkt für Freiwilligenarbeit. Welche Aufgaben Elena dort hat, warum sie nicht mit ihren Kindern nach Deutschland geflüchtet ist und wie ihr Alltag gerade aussieht – darüber sprach ich mit ihr am Sonntagabend.

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„Ich verstehe, dass das psychischen Druck erzeugen soll“

In Odesa ist Mitternacht. Ich sehe Romans Gesicht neben meinem auf dem Bildschirm meines Laptops. Wir haben uns zum Zoom-Gespräch verabredet. Er lächelt, wirkt fast so entspannt und gut gelaunt wie ich ihn kenne. Seine Stimme jedoch klingt viel weniger hell als sonst. Im Sommer waren wir gemeinsam unterwegs in der Südukraine, um ehemalige deutsche Kolonien zu finden. Roman ist Dozent für Tourismus an einer der Hochschulen in Odesa. Nebenberuflich arbeitet er als Fremdenführer und Fahrer, hat oft mit internationalen Gästen in und um Odesa zu tun. Ich möchte wissen, wie es ihm derzeit in Odesa geht und was in der Stadt gerade passiert.

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Abschiedsschmerz

Am 31. Oktober 2021 verließ ich die Ukraine. Ich stand an der Passkontrolle am Flughafen in Odesa. Die Grenzbeamtin drückte das Datum in meinen deutschen Reisepass und fragte mich plötzlich, ob meine Eltern aus der Ukraine kommen. „Nein, aber meine Großeltern“, sagte ich und fühlte einen irrationalen Anflug von Stolz. Sie lächelte warm und machte mir den Abschied schwerer als er nach fünf Monaten in der Ukraine ohnehin schon war.

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Die Stille bei Neu-Karlsruhe

Zehn Jahre ging ihr diese Geschichte nicht aus dem Kopf. Schließlich musste Katharina Martin-Virolainen das Erlebte von „Oma Julia“ in einem Buch festhalten. Die Geschichte, auf der ihr 2021 veröffentlichter Roman „Die Stille bei Neu-Landau“ basiert, beginnt in Neu-Karlsruhe, einer ehemaligen deutschen Kolonie nordöstlich von Odesa. Ich begleite die Autorin zu diesem Ort in der Ukraine. Dort sprechen wir über den Lebensweg der Menschen, für die Neu-Karlsruhe bis 1944 Heimat war, über unterschätzen Rechercheaufwand und notwendige Schreibpausen. Auch beschreibt die russlanddeutsche Autorin, wie es sich anfühlt, zum ersten Mal dort zu stehen, wo sie gedanklich zwei Jahre verbracht hatte. 

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Güldendorf will seinen Namen zurück

Google kennt „Güldendorf“ schon. Gibt man den Namen in der Suchmaschine ein, zeigt sie als ersten Treffer das Dorf Krasnosilka nördlich von Odesa an. Ein Teil der Menschen in Krasnosilka, wie Güldendorf seit 1945 offiziell heißt, möchte den einst von deutschen Kolonisten vergebenen Ortsnamen zurück. Warum und wie die Bürgermeisterin die angestrebte Volksabstimmung betrachtet, darüber sprach ich mit ihr und einer „Güldendorf“-Aktivistin.  

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Der Weg der Unsterblichen

250 Kilo­me­ter von Odesa liegt Boh­da­niwka, wo die Wehr­macht und ihre Helfer im Winter 1941/42 ein Mas­sa­ker an Jüdinnen und Juden beging. Einmal jähr­lich kehren Nach­kom­men der Opfer an den Ort des Ver­bre­chens zurück. Ich habe sie begleitet.

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Odesas Babyn Jar

Am 22. Oktober 1941 sprengten sowjetische Partisanen in Odesa das Hauptquartier der rumänischen und deutschen Besatzer in die Luft. 67 Menschen starben, darunter 16 rumänische und vier deutsche Offiziere. Als Vergeltungsakt trieben die Okkupanten Jüdinnen und Juden in neun Munitionsbaracken am Rand der Stadt und steckten sie in Brand. Etwa 25.000 Menschen, zumeist jüdische Frauen, Kinder und alte Menschen, verbrannten bei lebendigem Leib. Wer zu fliehen versuchte, wurde erschossen oder in die Luft gesprengt. Warum dieses „Massaker von Odesa“, ebenso wie die meisten „Babyn Jars“ der Ukraine, bislang kaum bekannt ist und wie das Berliner Zentrum Liberale Moderne dieses Verbrechen sichtbar machen möchte – darüber sprach ich mit Marieluise Beck, Direktorin für Osteuropa des Zentrums der Liberalen Moderne.

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