Deutsche Postkartenmotive in der ukrainischen Volksmalerei

Elena Saidel

Kinder in deutschen Trachten beim Blumensammeln, süddeutsche Dörfer, Engel und blonde, großäugige Mädchen mit Katzen – Motive, die vor rund fünfzig Jahren in fast jedem Haus in der ländlichen Ukraine als Ölgemälde zu finden waren. Doch wie entstanden diese teils verbotenen Werke ab Mitte der 1940er Jahre in der damaligen Sowjetrepublik Ukraine?

Ukrainische Volksmalerei
Kinder in deutschen Trachten und Naturmotive waren besonders beliebt und hingen häufig in ukrainischen Küchen und Wohnzimmern.

Das weiß Elena Saidel. Die Lehrerin aus Ovidiopol bei Odesa hat diese Art der ukrainischen Volksmalerei zu ihrer Leidenschaft gemacht. Ihre Privatsammlung zählt zu der umfangreichsten des Landes. Regelmäßig stellt sie die Werke in Museen und Kulturzentren aus. „Die meisten der Ölgemälde wurden in den vierziger bis sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts erstellt, meist von ukrainischen Laienmalern“, erklärt sie. Das Besondere: Als Basis dienten ihnen Postkartenmotive, die sowjetische Soldaten aus Nazi-Deutschland mitgebracht hatten.

Künster*innen verwendeten oft Tischdecken aus Plastik, um die Motive aus Deutschland als Ölgemälde zu kopieren.

„Die Postkarten galten als Trophäen und wurden auf dem Schwarzmarkt verkauft. Einige waren auf Deutsch oder Französisch beschriftet, andere noch blank“, sagt Elena Saidel. Weil die Motive für die damalige Ukraine so ungewöhnlich waren und eine heile Welt abbildeten, gewannen sie schnell an Beliebtheit. Maler*innen brachten sie großformatig auf Leinwände. Fehlten diese, verwendet sie auch Kunststofftischdecken, Matratzenbezüge oder Holzplatten, die bis heute „Dicht“ genannt werden in Anlehnung an das deutsche Adjektiv „dicht“.

Sowjetische Soldaten nahmen teils beschriftete Postkarten aus Deutschland mit, behielten sie als Kriegstrophäen oder verkauften sie auf dem Schwarzmarkt in der Sowjet-Ukraine.

Elena Saidel zeigt ein Ölgemälde in leuchtenden Farben mit einer sitzenden Frau auf einer Wiese. Sie trägt eine rote, typisch deutsche Tracht, Blumen schmücken ihren Kopf. Neben ihr steht ein Reh, um das sie vertrauensvoll einen Arm legt. „Dieses Motiv hing in ukrainischen Dörfern in fast jedem Haus, daran erinnere ich mich noch aus meiner Kindheit“, so Saidel. Ein weiteres weit verbreitetes Motiv war ein über zwei Kindern schwebender Engel. „Dieses Sujet war in Europa sehr bekannt, in der Ukraine jedoch ein völliges Novum und wurde schnell fester Bestandteil der dörflichen Volksmalerei“, erklärt Saidel. Oft hing es in Kinderzimmern, meist über dem Bett. Sie fasziniert dieses „einzigartige kulturelle Phänomen“, bei dem Postkartenmotive Einzug in die ukrainische, sehr populäre Volksmalerei fanden. Speziell dem Engelmotiv hat der ukrainische Kunsthistoriker Oleksandr Naiden* sogar ein ganzes Buch gewidmet.

Ein Motiv aus Vorkriegsdeutschland, das illegal in der Sowjetrepublik Ukraine vervielfacht und verkauft wurde. Die Postkarten wurden gemäß der deutschen Vorbilder auf Fotopapier nachgedruckt und von Hand mit Anilinfarben koloriert.

Hobbykünstler*innen vervielfältigten die aus dem Zweiten Weltkrieg mitgebrachten Motive auch als kleine Nachdrucke. So entstanden dünne, handkolorierte Karten, die Liebespaare gekleidet im Stile Deutschlands der Zwanzigerjahre, biblische Szenen oder deutsche Dörfer zusammen mit Urlaubsgrüßen auf Russisch zeigen. Als „Samisdat“, die sogenannte Selbstherausgabe, wechselten sie die Besitzer nur heimlich. Die westlichen Motive aus dem gerade besiegten faschistischen Deutschland waren nämlich in der Sowjetunion verboten – was ihre Beliebtheit und Verbreitung nur noch förderte.

Viele der aus Deutschland mitgebrachten Postkarten waren bereits beschriftet und einst per Post versandt.

Gefunden hat Elena Saidel die Postkarten mit ursprünglichen Motiven sowie die Ölgemälde und nachgeahmten Postkarten auf Flohmärkten. „Ich suche auch weiterhin, jedes Stück ist ein Unikat und gehört heute zum Kulturerbe der Ukraine“, sagt sie – mit wie so oft in diesem Land Verbindung zu Deutschland.

 

*Александр Найден: „Народная картина „Ангел охраняет детей“

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